Gerhard Und Frank (In Wien - The Song Maker - Live)
Reinhard Mey
6:13Was gibt's schöneres als an diesem Tag im Sonnenschein Auf einer Bank im Park zu sitzen, still und ganz allein Mit Amsel, Drossel, Fink und Star, da platzt mit Gebrüll Eine entfesselte Schulklasse in mein Idyll Gefolgt von einem bleichen, unterwürfigen Lehrer So ein Schülerversteher, so ein ganz legerer Die Kinder werfen Kaffee-To-Go-Becher in die Gegend Und ihr Wortschatz ist schamverletzend und besorgniserregend Sie schnippen Kippen in das Gras und rempeln mich an „Ey, du Opfer, mach dich hier mal nicht so dicke, Mann!“ „Kinder, geht's auch etwas leiser?“, der Lehrer schreitet ein Die Kinder zeigen sich auf ihren Smartphones Schweinereien Oh, ich liebe es, unter Menschen zu sein „Ey, Spacko, ich hau' dir eine rein“ Ich liebe es, unter Menschen zu sein Ach, ja, die lieben Kleinen Ich liebe es, unter Menschen zu sein Ich liebe es, von Zeit zu Zeit ins Wirtshaus zu gehen Mit dem schönen festen Vorsatz, tief ins Glas zu sehen Allein in meiner stillen Ecke mit meinem Wein Da kommt die laute Stillgruppe und der Gesangsverein Da kommt der Fleischgroßhändler mit seinem kläffenden Köter Und der Bürgermeistersohn, ein tödlicher Nervtöter Die smarten jungen Eltern kommen, die, hoch die Tassen Die Erziehung ihrer Blagen der Allgemeinheit überlassen Ein Kind kotzt auf den Tisch, das andre wirft seinen Schuh Ein angetrunk'ner Schwätzer torkelt direkt auf mich zu „Ist neben dir noch frei?“, „Bedaure, mein Herr, leider nein“ Er setzt sich ächzend, übelriechend hin zu mir Und gießt sein Bier über mein Bein Mmh, liebe es, unter Menschen zu sein „Kannst du mir noch einmal verzeihen?“ Ich liebe es, unter Menschen zu sein „Komm, gieß mein Glas noch einmal ein“ Ich liebe es, unter Menschen zu sein Im Kino, an der Bar, im Restaurant ohne Hemmschwelle Wo immer ein Platz frei ist, rücken sie mir auf die Pelle Egal, ob sie am Pool die Liege neben mir aussuchen Oder im Großraumwagen den Sitz neben meinem buchen Es ist das Phänomen der Kohäsion, der Moleküle Wenn in 'nem leeren Wartesaal einhundert freie Stühle stehen Geht der erste, der herein kommt unabänderlich Schnurstracks durch den ganzen Saal und setzt sich neben mich Und so werd' ich langsam das Gefühl nicht los Sie wollen nicht nur neben mir sitzen, sie wollen auf meinen Schoß, „Nein“ Es ist dunkel, nass und kalt und es ist viertel nach zehn Ich muss nach Haus durch den dunklen Fußgängertunnel gehen Ich steig' hinab, hüpf' zwischen Lachen von Urin Und Erbrochenem hin und her und da plötzlich seh' ich ihn Er hat recht derbes Schuhwerk an und keine Haare Dafür 'nen Baseballschläger, ich hab' nur die Gitarre Mit einer Hand zerquetscht er eine volle Bierdose Wirft sie nach mir, dann holt er einen Schlagring aus der Hose Das war's, ich habe keine Chance gegen den Stier Da hör ich plötzlich die St.-Pauli-Hymne hinter mir Zwei Dutzend St.-Pauli-Fans ziehen mich in ihre Reihen Und ich häng' mich bei zwei großen, breiten Kuttenträgern ein Ach, ich liebe, unter Menschen zu sein St. Pauli, ab sofort mein Verein Ich liebe es, unter Menschen zu sein You never walk alone Ich liebe es, unter Menschen zu sein Du gehst niemals allein Ich liebe es, unter Menschen zu sein, mhm-hm Ich liebe es, unter Menschen zu sein Plötzlich nichtig und klein Ich liebe es, unter Menschen zu sein Jetzt kommt die Wien Spezialstrophe Das Haus ist riesengroß, das Haus ist gähnend leer Es ist jetzt zehn vor acht, heut' kommt hier keiner mehr her Mein Blick geht tränenschwer über die leeren Reihen Die Wiener lieben mich nicht mehr und raum kommt jetzt auch kein Schwein Was hab' ich nur getan? Warum hassen mich die Massen Warum haben mich auch meine beste Freunde überlassen Ich bin zu schwarz, ich bin zu rot, ich bin total daneben Ich verdammt zu liberal, ich bin zu grün, ich glaub' ich muss mich übergeben Da schlürft der Pförtner rein und sagt „Übrigens, junger Mann, wir fangen ja heute erst um 20:30Uhr an“ Aber jetzt rennen sie mir da draußen schon um acht die Bude ein Da gehen sie Saaltüren auf 1.728 Menschen strömen da rein Ich liebe es, unter Menschen zu sein Ich liebe es, unter Menschen zu sein Ich liebe es, unter Menschen zu sein Ach, ich liebe es, unter Menschen zu sein Ich liebe es, unter Menschen zu sein Kommen sie rein, kommen sie rein, kommen sie rein Ich liebe es, unter Menschen zu sein Vor allen Dingen, wenn sie so zahlreich erscheinen Ich liebe es, unter Menschen zu sein Einer geht noch einer geht noch rein Ich liebe es, unter Menschen zu sein Noch ein Konzept in Wien? Da sag' ich nicht nein Ich liebe es, unter Menschen zu sein